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Transvulcania – (Zer)knirschende
Kilometer auf der schönen Insel

von

… oder einfach: Die schöne Insel

La isla bonita – la isla dura/exigente

Transvulcania Fakten
Datum 07.05.2016
Start 06:00 lokale Zeit
Erster Cut-Off 11:00 (nach 5h)
Zweiter Cut-Off 17:00 (nach 11h)
Länge 74 km / 4.000 HM Auf- und Abstieg

 

[highlight]Der alljährlich stattfindende Transvulcania Ultramarathon auf La Palma (Kanaren, Spanien) zieht jedes Jahr 1800 Ultraläufer aus der ganzen Welt magnetisch an. Warum das so ist, erklärt der folgende Bericht[/highlight]

– Quieren agua, senor?a – fragt eine freundliche Stimme mich von rechts. Ich erwache gerade aus meinem Tagtraum und realisiere, dass es die adrette Stewardess ist, die mir Wasser anbietet. Ich nehme es entgegen und bin gedanklich gleich wieder zurück bei meinem Tagtraum, in dem sich bunt bekleidete Gestalten von deren Käpfen Lichter die Nacht erhellen, überdimensionalen Glühwürmchen gleich, mit eiserner Entschlossenheit die Flanken eines uralten Vulkans hochwinden…

Inspiriert war der Traum von dem Eiland das sich am Horizont langsam abzeichnet. Die kleine zweimotorige Propellermaschine nähert sich langsam drähnend, aber stetig der kleinen Insel im Atlantik –

Als der Pilot zum Landeanflug Richtung der Hauptstadt Santa Cruz ansetzt ist durch den vorherrschenden recht dichten Nebel nicht das ganze Ausmaß der kleinen Insel erkennbar. Trotzdem, Gänsehaut macht sich breit, beim Gedanken dass ich als einer von 1800 Startern nur drei Tage später fast die komplette Insel ablaufen würde. Der Name – Transvulcaniaa – hat in der Szene fast schon mythischen Charakter. Unzählige Berichte hatte ich im Vorfeld gelesen, von eiskalt exekutierten Cut-off Zeiten – wer zu spät ist, dem wird einfach ohne langes Fragen der Chip abgenommen (hart aber fair, finde ich prinzipiell gut), bis hin zu glühend heißem Vulkansand reichen die Beschreibungen. Der Transvulcania war auch vor ein wenigen Jahren einer der Läufe dessen offizielles Rückblickvideo mich extrem in seinen Bann zogen. Einmal für den Lauf transvulcania-fotos-oficiales-roque-de-los-muchachos-1-transvulcania-fotos-oficiales-1566487-40345-1913registriert, schaute ich mir diese Videos nochmal mit anderen Augen an: was tragen die Läufer? Wie ist der Untergrund? Ist es ratsam Stöcke zu verwenden, oder kann man getrost darauf verzichten? Ich war gekommen um diese Fragen selbst zu beantworten.

Schnell vorgespult zum Tag X: dutzende Shuttlebusse haben die große Menge an so genannten – Verrücktena – (aus Sicht von Nicht-Trailrunnern, jeder Ultraläufer kennt die Sprüche) zum Start am Leuchtturm an der Südspitze der Insel gebracht, dem – Faro de Fuencalientea – . Bei Tag bereits ein unglaublich betärender Anblick: schwarzer Vulkansand wird von gelb-grünen Buschwerkpunkten akzentuiert. Der Kontrast ist wunderschön und aus dem grünen österreich kommend ein besonderer Augenschmaus. Frühmorgens bietet sich nun ein anderes, nicht weniger beeindruckendes Bild:

mit scharrenden Hufen versammeln sich sowohl ein Gutteil der Weltelite, also auch Hundertschaften von Hobbyläufern auf MeeresHöhe,

hinter einem riesigen Startportal im Transvulcania-Design. Der Traum aus dem Flugzeug schien sich langsam zu materialiseren – ich war kurz davor mich selbst in den Arm zu kneifen um sicher zu gehen, dass das alles wirklich gerade geschah. Dann – mitten in der Startaufstellung – die Uhr nähert sich langsam dem Zeitpunkt null, kurz bevor es so weit ist erschallt AC/DC mit – Thunderstrucka – (CHECK!) Die Menge der Läufer bebt färmlich, klatscht ekstatisch, zählt gemeinsam mit voller Kehle den Countdown herunter und setzt sich dann bei – tres, dos, cero, UNOa – – wenn auch stockend – endlich in Bewegung. Die berühmte leuchtende Schlange ist aus der Schlangengrube losgelassen und beginnt sich mit kräftigen Bewegungen den Hang hochzuwinden. Der Kopf des Reptils, prominent besetzt mit Granaten wie Luis Alberto Hernando, Sage Canadß, Anna Frost, und dem stärksten österreicher im Bewerb, Peter Fankhauser, schießt geradezu die Vulkanserpentinen hoch. Der Rumpf mit den Normalsterblichen versucht keuchend den Anschluss zu halten. Nachdem der breite Weg vom Leuchtturm, nach nur wenigen hundert Metern in einen Singletrail übergeht, staut es sich immer wieder, doch bald finden die Glühwürmchen eine Art gleichmäßigen Rhythmus, und stapfen über den sandigen Trail nach oben. Fast schon im Gleichschritt geht es jetzt die ersten Anstiege hoch, das pechschwarze grobkärnige Vulkangestein verursacht ein charakteristisches Knirschen, da die Läufer nahezu im Gleichschritt marschieren entsteht ein Geräusch das mir irgendwie bekannt vorkommt – wo habe ich das schon einmal gehört? Na klar, die marschierenden Armeen der Orks in Herr der Ringe, eins zu eins das gleiche Geräusch –

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Zieleinlauf nach 7km

Nach gut einer Stunde erreichen wir den ersten Verpflegungspunkt in – Los Canariosa – . Das Spektakel das sich uns hier bietet ist unglaublich: das ganze Dorf ist trotz des erst dämmernden Tages bereits auf den Beinen und feuert lauthals jeden einzelnen Läufer an. Es mag nach schierer übertreibung klingen, aber die Stimmung direkt an der Labestation ist besser als bei vielen ZieleinLäufen: Musik, ein Sprecher der die Menge antreibt, klatschende, johlende, schreiende Zuseher. Unweigerlich laufen die meisten Transvulcania-Mitstreiter mit einem breiten Grinsen in das Dorf ein und verlassen es kurz danach mit gestilltem Durst und leichten Schrittes, getragen von der positiven Energie der Menschenmenge.

Trailrunner im Nebel

Bis zum zweiten Verpflegungspunkt hat der gemeine – Transvulcaniera – schon gut 2000 positive Höhenmeter und erst 18 Kilometer in den Beinen. Die Insel überrascht andauernd mit den wechselnden Bedingungen: dichter Nebel, der nur wenige Meter Sicht zulässt wechselt sich mit blauem Himmel und Sonne ab. Die erbarmungslose Hitzeschlacht, die ursprünglich zu erwarten war und auf die ich mich mental schon eingestellt hatte, fand – bis dato – (Gottseidank) nicht statt. Ab Las Deseadas geht es dann kupiert mit Tendenz nach unten dahin, hier können endlich schnellere Kilometer gemacht werden. Beim Refugio El Pilar bietet sich wieder ein beeindruckendes Zuschauerspektakel. Neben den Schaulustigen ist hier auch noch der Start des Halbmarathon. Wie der Teufel so will komme ich genau dann aus der Labestation und biege in den Hauptweg ein, als die Halbmarathonis per Startschuss auf die Strecke losgelassen werden.

Glück im Unglück: obwohl hier eine ganze Menge Läufer losgaloppiert, bin ich zufällig auf der richtigen Seite, auf der sich meine Eltern zum Anfeuern aufgestellt haben.

Die Euphorie ist groß, als wir uns sehen, zweimal High-five, und weiter mit einem hastig gerufenen – Bis später!a –

Ab hier beginnt man nun unweigerlich die Startnummernfarbe der Leute ins Visier zu nehmen. Die Reaktion schwankt dann je nach dem zwischen – puh, Glück gehabt, nur ein Grüner (Halbmarathon) der mich überholta – und – yesss, wieder einen Roten (Ultramarathon) geschnupfta – . Etwas mehr als die Hälfte von der Strecke bis zum höchsten Punkt ist nun geschafft. – Nur nocha – rund 50km liegen voran… ich halte mich nicht lange mit Gedanken über diese irrsinnigen Zahlen auf, sondern teile mir den Lauf in kleine Portionen ein.

Die nächsten 25-26 Kilometer gehen recht gut dahin, doch knackige Anstiege scheinen sich langsam wieder zu häufen und es wird klar, dass nun die restlichen aufwärts gerichteten Höhenmeter fällig sind, denn der Roque de los Muchachos wartet schon. Da der Roque sowohl höchster Punkt, als auch Cut-off Checkpoint und der – Start des eigentlichen Rennensa – ist, sehnen sich alle Läufer danach, endlich dort oben zu stehen. Ab der Marathongrenze ziehen sich die letzten paar Kilometer dahin aber unglaublich. Wie ein achtlos weggeworfener Kaugummi in den man unglücklicherweise getreten ist, zieht und zieht sich das letzte Stück hinauf. Auch erwähnenswert: die Sonne hat in den vergangenen Stunden ordentlich an Kraft zugelegt und brennt auf die schattenlose Strecke. Dass La Palma recht windig ist und wir immer mehr oder weniger Grat laufen kommt uns da sehr entgegen. Es ist schon ziemlich warm, aber noch erträglich.

Dann endlich, vorbei an den riesigen weißen und silbernen Observatorien die wie gelandete Raumschiffe zufällig verstreut in der Landschaft stehen, erreiche ich den mit 2426m über dem Meer gelegenen höchsten Punkt der Strecke und somit der Insel. Die Aussicht wird durch dichten Neben getrübt, aber die Stimmung wird durch leckere Pasta, frische Melonen und einige Becher Coca Cola unglaublich gehoben. Ich gönne mir gut 15 Minuten Verschnaufpause unter dem Schatten des aufgebauten Zeltes und labe mich an den Köstlichkeiten die das Buffet zu bieten hat. Dass ich eigentlich keinen Thunfisch mag – der ziemlich sicher in der Pastasauce drin war – ist in diesem Moment aber sowas von nebensächlich. Ich fülle meine Wasservorräte, einer der freundlichen freiwilligen Helfer hilft mir dabei, und schnappe noch zwei Melonenschnitze, dann geht – s wieder raus.

Im siebten Downhillhimmel

Jetzt geht der Lauf erst los! Gemäß einhelliger Meinung von Transvulcania-Kennern ist der über mehr als 2400 Höhenmeter abfallende Downhill die Crux und die Kür des anspruchsvollen Rennens. Auf knapp 20 Kilometern rauschen die Läufer von der höchsten Bergspitze hinunter auf die Höhe des atlantischen Ozeans. Wobei – rauschena – nicht immer zutreffend ist, viele Teilnehmer sind zu diesem Zeitpunkt – zurecht – gezeichnet von 52km und rund 4000 positiven Höhenmetern. Manch einer stakst mit Hilfe seiner Stecken einem Schreitbagger gleich die steilen von Pinien gesäumten Hänge hinunter. Ich habe anfangs auch meine Mühe die müden Beinchen zum Fliegen zu motivieren, doch als in meinen Kopfhärern ein unglaublich motivierendes – Viva la gentea – (von Che Sudaka) ertänt und ich anfange laut mitzusingen, kommen die schweren Füße so langsam in die Gänge. Kann gut sein, dass nun auch die Energie aus der Gipfelverpflegung den Weg in meinen Blutkreislauf gefunden hat und ich darüber hinaus realisiere dass ich schon 2/3 der Strecke hinter mir habe. Dazu kommt: ich wollte mich bewusst nicht schon vor dem Downhill so auspowern dass hier gar nichts mehr geht, denn dafür liebe ich das schnelle & technische Bergablaufen viel zu sehr. Ich lasse es so richtig laufen, leichte Vorlage und kontrolliert fallen lassen, wie man so schön sagt. Der letzte Teil des Downhills hat es dann noch einmal so richtig in sich: ein verschnärkelter Eselspfad, der sich die Klippen zum Hafen von Tazacorte hinunterwindet. Gerade so breit dass man an einem anderen Läufer vorbeikann, aber viel mehr auch nicht. Wieder einmal erweist sich La Palma als die königin der krassen Kontraste: unter mir blockige, unfärmige Pflastersteine, die den geschundenen Beinen noch einmal eine schöne Tracht Prügel verabreichen und rechterhand das glitzernde Meer, dem man durch eine falsche Bewegung im freien Fall ziemlich schnell gefährlich zu nahe kommen könnte.

– Paso derechaa – oder – Paso izquierdaa – (ich gehe rechts/links vorbei) sind die kargen Wortfetzen die ich zwischen tiefen Atemzügen herausbringe, als ich mich der letzten Verpflegungsstation mit schnellen Schritten nähere. später werde ich an der Ergebnisauswertung sehen, dass ich beim Downhill gut 100 Plätze gut gemacht habe (jetzt noch bergauf schneller werden wäre gut).

Mein Lieblingsabschnitt liegt hinter mir, ich stärke mich kurz, gehe durch einen Tunnel mit kühlendem Wassersprühregen und mache mich daran den letzten Anstieg in Angriff zu nehmen. Ab jetzt tut alles weh, durch ein ausgetrocknetes Flussbett geht es zuerst noch relativ zügig, dann tut sich eine Wand vor mir auf: es geht steil durch Bananenplantagen nach oben. Die Mitstreiter die ich hier treffe sind alle am Ende ihrer Kräfte, wir versuchen uns mit Scherzen und Lachen von den Strapazen abzulenken. Im Schneckentempo schieben wir uns mit Stöcken oder mit den Handflächen auf den Oberschenkeln abstützend den harten Weg nach oben. Anfeuerungsrufe von Passanten verhallen im Nirvana, jetzt wollen wir nur noch die Ziellinie überqueren. Nach schier endlosen Bananenpalmenhainen endlich die Straße mit dem blauen Fahrradstreifen: das ist das Signal für den Schlusssprint. All meine letzten Kräfte mobilisierend setze ich zu einem Laufschritt an, von jetzt an wird die Zuschauerdichte wieder Höher, kleine Kinder halten ihre Hände erwartungsvoll zum Abklatschen hin, wie könnte ich diese Freundlichkeit nicht erwidern. Schmerzen und Erschäpfung treten in den Hintergrund, jetzt heißt es so viele Kinder wie möglich abzuklatschen und die Zähne zusammenzubeißen. Nach der Rechtskurve werden Applaus und Anfeuerungsrufe noch lauter, mein iPod ist schon lange ausgeschaltet, ich will diese Stimmung mit allen Sinnen aufsaugen. Jetzt biegt der Kurs ein allerletztes Mal um eine Kurve, der finale Zielsprint vorbei an unzähligen enthusiastischen Zuschauern und dem Sprung über die Ziellinie werden für immer unvergessen bleiben. Transvulcania, was für eine Atmosphäre, was für ein Traum von einem Lauf!

PS: zur Beantwortung der Fragen: tendenziell ist es warm, aber bei Nebel und Schatten wäre ich um ein dünne Jacke oder ärmlinge froh gewesen. Der Untergrund ist oft grobkärniger Vulkansand, aber auch härter gestampfte Pfade. Stöcke finde ich schon angebracht, und wenn nur für die letzten 350hm, die sind nämlich hällisch.

PPS: die Anmeldung für das nächste Jahr ist schon erledigt 😉

[highlight]über den Autor:[/highlight]

Stefan Vonbun ist in Vorarlberg zuhause und läuft am liebsten auf technischen Wurzelwegen, und ganz gerne auch rasant bergab. Auf facebook.com/kmfresser bzw. kilometerfresser.at kann man sich einen kleinen Eindruck verschaffen 😉

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